"Sei eine erstklassige Ausgabe Deiner selbst, keine zweitklassige von jemand anderem." - Judy Garland - Wir alle gehen in den Kindergarten und anschliessend zur Schule. Dort lernen wir ungefähr das Gleiche. Wir durchlaufen ähnliche Ausbildungen und absolvieren gleiche Studiengänge. Wir tragen die gleichen Anzüge, die gleichen Blusen, fahren die gleichen Autos, telefonieren mit den gleichen Handys und machen gleichzeitig Feierabend und tanzen in den gleichen Clubs. Dann kehren wir in unser zu Hause zurück, bestückt mit den gleichen Möbeln aus dem meist gleichen Einrichtungshaus. Wir verbringen die Ferien an den gleichen angesagten Destinationen, tragen unsere Frisuren oder Bärte gemäss den modernsten Empfehlungen der immer gleichen Zeitschriften. Nichtsdestotrotz legen wir grossen Wert auf unsere Individualität. Niemand darf uns vorschreiben, was wir tragen, womit wir fahren, was wir essen, wo wir arbeiten oder wie wir aussehen. Doch wie schaut es mit der Umsetzung dieser hochgeschützten Individualität aus? Und was ist eigentlich Individualität? Bin ich einzigartig, wenn ich schrill‑bunte Kleidung trage und um jeden Preis auffallen will? Meines Erachtens betrifft Einzigartigkeit weniger die Aspekte von Äusserlichkeiten, sondern vielmehr diejenigen der Persönlichkeit, der Meinung und der individuellen Werte. Es sind nicht meine Kleider (die auch jeder andere rein theoretisch im Laden erwerben und tragen kann), die mich zu einem Individuum machen. Es ist vielmehr der Ausdruck meiner Persönlichkeit in Form von Worten, Taten und Verhalten, die mich von anderen unterscheidet. Bei Individualität geht es darum, sich selbst zu sein. Auch – oder gerade – in Momenten, in denen man damit vielleicht nicht genau das tut, was alle anderen machen. Wenn ich so handle, wie es meinem Innersten entspricht, dann bin ich individuell, dann bin ich einzigartig. Das hört sich einfach an, ist aber oft mit Anstrengungen verbunden, denn unser Drang, von anderen Menschen akzeptiert zu werden, übersteuert oft die persönlichen inneren Werte. Wenn ich immer perfekt angepasst bin, könnte es passieren, dass ich irgendwann so sehr darauf bedacht bin, anderen zu gefallen, dass ich mir selbst nicht mehr gefalle. Es mag viele Situationen geben, in denen die allgemeine Haltung meine persönliche Einstellung widerspiegelt. Aber wenn ich mich in einer bestimmten Situation anders verhalten will, als andere, dann sollte ich dies auch tun. Nehmen Sie nicht grundsätzlich und bei jeder Gelegenheit eine gegenteilige Meinung ein, aber äussern Sie – wenn sie denn welche haben – Ihre einzigartigen (weil ureigenen) Gedanken zu einem Thema. Stehen Sie für Ihre Meinung ein und verschaffen Sie sich Gehör, das wird Sie in Ihrer Individualität stärken (und zwar vielmehr, als es Kleidung, Accessoires oder Urlaubsziele je schaffen werden). Am Ende geht es doch darum, den für sich selbst richtigen Weg zu finden, die eigenen Entscheidungen zu treffen und für diese die Konsequenzen zu tragen. Niemand wird glücklich, wenn er den Zielen anderer hinterherrennt. Tun Sie das, was Ihrem Naturell entspricht, verstellen Sie sich nicht. Denn: wenn Sie sich selbst sind, sind Sie anders. Es gibt ein ausserordentlich geeignetes Mittel, die eigene Einzigartigkeit zu fördern und auszuleben: Kunst. In der Kunst sind wir alle einzigartig. Auch wenn Sie noch so sehr versuchen, wie jemand anderes zu zeichnen oder zu malen, so erschaffen Sie doch jedes Mal ein anderes Kunstwerk, das sich vom Kopierten unterscheidet und Ihre ganz eigene Handschrift[1] trägt. Wenn Sie eine blaue Fläche mit dem gleichen Pinsel und der gleichen Farbe auf das gleiche Papier malen, so wird sich diese Fläche von denjenigen anderer Personen zwangsläufig unterscheiden. Denn Sie haben Ihre ganz eigene Art, diese Fläche auszufüllen: vielleicht tragen Sie ganz dick auf oder verwenden viel Wasser und die Farbe wird pastellzart. Oder Sie schmieren wild und ausgelassen im Gegensatz zu einer fein säuberlich und akkurat ausgemalten Fläche. Schon Kinderzeichnungen sind mehr als blosses Gekritzel, der Charakter und die Wahrnehmungen eines Kindes manifestieren sich in seiner Kunst. Auch im Gesang unterscheiden wir uns, selbst wenn Noten die Melodie und den Rhythmus eines Stücks vorgeben, so klingt doch jede Stimme anders, bringt jeder eine andere Facette eines Gefühls zum Ausdruck. Unsere persönliche Individualität zeigt sich neben unserer Art zu zeichnen oder zu malen auch in unserer Handschrift. Auch wenn die Handschrift in der Schule zunächst gelenkt und in vorgegebene Bahnen gepresst wird, entwickelt jedes Individuum früher oder später seinen eigenen Stil. Es gibt sogar eine eigene Wissenschaft, die Graphologie, die sich mit der Handschrift als Ausdruck unseres Charakters beschäftigt. Wenn Sie also Ihre Individualität, Ihre wirkliche Einzigartigkeit erforschen und ausleben wollen, dann könnten Zentangle und Handlettering geeignete Wegbegleiter für Sie sein. Wenn sie wirklich in etwas einzigartig sein wollen, dann seien sie kreativ, denn in Ihrer Kreativität sind sie unersetzbar! **** [1] Gesetzt den Fall, Sie sind Kunstfälscher, erlauben Sie mir folgende Zwischenbemerkung: wer die Technik einer anderen Person derart studiert und perfektioniert hat, dass er sie eins zu eins wiedergegeben werden kann, unterscheidet sich in meinen Augen gerade in dieser Besonderheit, sich in ein Thema dermassen vertiefen um Mittel und Wege finden zu können, nicht aufzufliegen, dass dies bereits wieder Ausdruck einer starken Individualität ist. Leidenschaft macht uns individuell, weil sie nur aus tiefster persönlicher Überzeugung entstehen kann. Haben Sie schon einmal vom versierten Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi gehört? Dieser Künstler hat seine ganze Energie darauf verwendet, sich den Stil berühmter Maler anzueignen, so dass es ihm schliesslich gelang, selbst Kunstexperten hinters Licht zu führen und die frei erfundenen Bilder als echte Werke eben jener Künstler (teuer) zu verkaufen. Betrachtet man das, was Beltracchi getan hat, aus juristischer Sicht, ist der Fall klar: illegal. Doch schaut man aus Richtung der Kunstecke, so ist der Fall anderweitig klar: dieser Maler und seine Fertigkeiten sind einzigartig. Heute übrigens hat Beltracchi seine mehrjährige Haftstrafe verbüsst und ist als Künstler unter seinem eigenen Namen tätig. Ich empfehle Ihnen, sich ein wenig mit seinem Werk auseinanderzusetzen. Beltracchi jongliert mit so vielen verschiedenen Techniken, seine Bilder sind fantastisch und Inspiration pur.
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"Fehler sind das Tor zu neuen Entdeckungen." - James Joyce - Wir sind es gewohnt, zu planen. Wir planen den Einkauf, indem wir eine Liste mit den benötigten Dingen schreiben, wir planen die Vorsorge, indem wir eine Versicherung abschliessen, wir planen die Karriere, indem wir Aus- und Weiterbildungen besuchen und so weiter. Wir (ver)planen unser ganzes Leben. Und während wir Pläne schmieden, wirft uns das Universum seine eigenen Pläne vor die Füsse. Dies sind dann oft diejenigen Momente, in denen wir straucheln, hadern und manchmal sogar nicht mehr weiterwissen. Diese Situationen empfinden wir als belastend, als falsch. Doch sind es wirklich Fehler, die da in unser Leben platzen? Und ist im Umkehrschluss das, was wir selbst geplant hatten, wirklich das Richtige?
Wer sich hinsetzt, um ein Bild zu malen oder eine Zeichnung anzufertigen, tut dies meist mit einer festen Absicht: «Ich zeichne einen Baum!» oder «Ich male eine Landschaft!» Und vor dem inneren Auge breitet sich das Bild aus, es erscheinen die Farben, die Schattierungen, die Formen, Figuren und Konturen und bevor wir auch nur den ersten Pinsel- oder Zeichenstrich gesetzt haben, ist das Kunstwerk in unserem Kopf bereits vollendet. Wir haben einen Plan erstellt. Und an diesem Plan, an dieser vorgefertigten Vorstellung in unserem Kopf messen wir das entstehende und das entstandene Bild. Schon während des Zeichnens korrigieren wir das effektive Bild und versuchen, das imaginäre Bild zu realisieren. Und am Ende stellen wir fest: das Werk ist nicht so herausgekommen, wie es geplant war. Meistens bewerten wir das Ergebnis negativ. Aber wie wäre es, wenn wir ganz ohne Vorstellung, ganz ohne Plan zeichnen und malen würden, wenn es vielmehr um den Prozess, statt um das Ergebnis ginge und wir vielmehr mit dem Ergebnis für den Prozess belohnt würden? In der Kunst und insbesondere in der Zentangle-Methode gibt es keine Fehler. Ja, ganz richtig: keine Fehler. Die Zentangle‑Methode ist so ausgelegt, dass aus jedem unerwarteten Ereignis (oder umgangssprachlich: Fehler) Inspiration spriessen kann. Zentangle-Kunst ist nicht gegenständlich, so können Sie sich kein vorgefertigtes Bild von dem machen, was Sie zeichnen werden. Zudem ist Zentangle-Kunst kaum planbar, sie entsteht während des Zeichnens, das Kunstwerk entwickelt sich nach und nach, Strich für Strich.
"If you hear a voice within you say "You cannot paint", then by all means paint, and that voice will be silenced." - Vincent van Gogh - Wenn zeichnen so einfach wäre – oder ist es das?
Mit der Aussage «ich kann nicht zeichnen» brandmarken wir uns selbst. In der Regel sind es nämlich nicht andere, die über unserer Kunst zu Rate sitzen und beschliessen: das ist nicht schön. Es sind für gewöhnlich vielmehr die eigenen Vorstellungen und Ansprüche, welche dieses vermeintliche Unvermögen in uns zementieren. Und zwar so lange, bis wir wirklich nicht mehr zeichnen können; oder besser gesagt: bis wir einfach gar nicht mehr zeichnen. Jeder Mensch ist kreativ, und jeder Mensch kann zeichnen. Oder haben Sie schon je davon gehört, dass eine Mutter ihrem Kind sagte: diese Zeichnung ist aber hässlich! Oder ein Vater: dieses Bild kann man nicht aufhängen! Das Zeichnen wird uns in die Wiege gelegt, der künstlerische Ausdruck wohnt in allen. Im Kindergarten zeichnen wir unbeschwert drauf los, malen mit sich beissenden Farben und kreieren Formen und Wesen, die es in der realen Welt nicht gibt (oder sehen wir diese als Erwachsene einfach nicht mehr?). Als Kinder scherten wir uns einen Dreck darum, ob eine Linie nicht ganz gerade, nicht parallel genug oder eine Fläche nicht gleichmässig und einheitlich ausgefüllt war. Wir liessen unserer Kreativität freien Lauf und genossen es. Ähnlich wie im Spiel konnten wir Eindrücke und Erlebnisse, Fantasien und Ängste durch die Kunst verarbeiten und neue Fertigkeiten dazugewinnen. Beim Zeichnen, Malen und Basteln fühlten wir uns wohl wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser. Im Laufe der Schulzeit rückte das Kreative immer mehr in den Hintergrund. Mathematik, Deutsch, Fremdsprachen etc. drängten die Kreativität zurück. Wir machten die Erfahrung, dass es nur «ein» richtig, nur «eine» Lösung für Probleme gibt. 1 + 1 ergibt 2 und wer nähmlich so schreibt ist dämlich. Und diese «Gesetze» machten auch vor unserer Kreativität nicht halt: im Kunstunterricht lernten wir, wie ein Impressionist zu malen, wie Da Vinci zu zeichnen und Kunst nach Vorgaben und Regeln zu produzieren. Originalität war nicht oder bestenfalls wenig gefragt, vielmehr ging es um die Einhaltung des gesteckten Rahmens und die vorschriftsmässige Ausführung der Aufgabe. Wir lernten, dass es einfacher ist, sich an die Regeln zu halten, als sie brechen zu wollen. Und wir lernten noch etwas: nähmlich, uns zu vergleichen. Sich mit anderen zu vergleichen ist das Schlimmste, was wir tun können, wenn es um Kreativität geht. In der Kunst gibt es kein richtig oder falsch, kein schön oder nicht schön. Denn Kunst berührt jeden Menschen anders. Was dem einen gefällt, die eine anspricht, ist für die andere hässlich und den anderen berührt es nicht im Geringsten. Kreativität ist nicht Wissen oder Intelligenz. Bei Wissen handelt es sich um eine Ansammlung von bereits Bekanntem, und Intelligenz hilft Zusammenhänge zu verstehen, die bereits vorgedacht wurden. Kreativität hingegen ist die Fähigkeit, etwas gänzlich Neues und Einzigartiges zu schaffen. Es geht darum, etwas nie Dagewesenes in die Welt zu bringen. Einzig nicht künstlerisch tätig zu sein, ist keine Kunst. Tipp Nummer eins: hören Sie auf, zu vergleichen! Jedes erstellte Kunstwerk, sei es gezeichnet, gehämmert oder getöpfert, durch einen professionellen oder einen Hobby‑Künstler erschaffen IST KUNST! Tipp Nummer zwei: hören Sie auf aufzuhören und fangen Sie an anzufangen! Setzen Sie sich hin und zeichnen Sie. Lösen Sie sich von der Vorstellung, dass ein Kunstwerk genau so oder genau anders sein sollte, verbannen Sie das vorgefasste Bild, wie das Ergebnis aussehen sollte, aus Ihrem Kopf. Tipp Nummer drei: Bewerten Sie Ihr Werk nicht, sondern würdigen Sie die Tatsache, dass Sie etwas erschaffen haben. Punkt, Punkt, Komma, Strich: fertig ist das Mondgesicht! Und das Gesicht wird sich verändern, je mehr Sie zeichnen, je öfter Sie es malen, je häufiger Sie es kritzeln. Und jedes einzelne dieser Werke IST KUNST! |
AutorSonja Richei ArchivKategorien |